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AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 20.04.2003


Suizide, Bisexualität und der Wert des Lebens
Kirsten Eisenberg

Nicole Kidman, Julianne Moore und Meryl Streep glänzen in dem bewegenden Portrait dreier starker Frauen. "The Hours", ein Film, der zu Recht bei der Oscarverleihung abräumte




Drei Geschichten, drei starke Frauencharaktere: Für Hollywood ungewöhnlich, sind alle Hauptrollen dieses Films weiblich besetzt. Neben dem großen Erfolg des Films bei der Oscarverleihung durften sich Kidman, Moore und Streep auch über den Silbernen Bären freuen.
Als Grundlage diente Virginia Woolfs berühmter Roman "Mrs. Dalloway".
Auch der Film zeigt nur einen einzigen Tag, doch dieser Ausschnitt reicht zur Identifikation der Zuschauerin mit mindestens einem der drei Frauenschicksale.
Der Selbstmord, wichtiges Motiv in Woolfs Roman, verknüpft die drei in unterschiedlichen Epochen angesiedelten Frauenschicksale auf kunstvolle Weise miteinander. Jede der Drei gerät an einen Punkt der Erschöpfung, an welchem sie ihr Leben, ihre Freunde oder ihre Sexualität in Frage zu stellen beginnt.

Im Sussex der 30er Jahre lebt und arbeitet Virginia Woolf, gespielt von Nicole Kidman. Kidman überrascht nicht nur äußerlich (Achtung, dank hervorragender Maske begegnet sie uns mit neuer Nase!), sondern zeigt auch schauspielerisch ungeahnte Qualitäten: Beim Schreiben ihres Romans wird die depressive Virginia zunehmend seelisch zerrüttet und körperlich ausgemergelt. Diesen Prozess, der sie schließlich zum Selbstmord zwingt, macht Kidman für die Zuschauerin durch ihre entrückten und wirren Blicke greifbar.
Der selbst schwule Regisseur Stephen Daldry hätte hier noch mehr auf Virginia Woolfs Bisexualität eingehen können. Immerhin liefert Michael Cunninghams gleichnamiger Roman (Pulitzer Preis, ....) den nötigen Stoff für eine Geschichte über lesbische Frauen. Nur ein Abschiedskuss mit der Schwester deutet im Film die sexuelle Orientierung der Schriftstellerin an.

Obwohl Kidman für ihre nicht zu leugnende schauspielerische Leistung den Oscar und auch das britische Pendant, den Bafta, erhielt, ist der eigentliche Star des Films Julianne Moore. Sie spielt Laura Brown, die Frau, die Woolfs Roman in den 50ern liest und durch ihn eine Wende in ihrem Leben erfährt. Virginia geht an ihrem eigenen Werk zugrunde, Laura dagegen verhilft das Buch dazu, ihren Wunsch nach dem eigenen Tod in neue Lebenskraft zu verwandeln. Moore gelingt es, der bröckelnden Fassade einer typisch amerikanischen Vorstadt-Bilderbuch-Ehe Ausdruck zu verleihen. Die Zuschauerin spürt das psychische Chaos, dass hinter dem maskenhaft lächelnden Gesicht der scheinbar perfekten Hausfrau und Mutter lauert.
Es kommt zu einer der wenigen Szenen in denen der Film das Thema Bi- bzw. Homosexualität angeht: Auf der Suche nach Geborgenheit verliert sich Laura in einem langen Kuss mit ihrer besten Freundin.

Die letzte Verschachtelung in Stephen Daldreys durchdachtem Streifen ist das Leben der lesbischen Clarissa Dalloway (Meryl Streep), die als Hauptfigur von Woolfs Roman "Mrs Dalloway" nun zu einer der Protagonistinnen des Films "The Hours" wird. Auch in ihren Alltag, diesmal im New York der 90er Jahre, tritt das Thema Selbstmord, als ihre aidskranke Jugendliebe Richard (Ed Harris) seinen Leiden ein Ende setzen will. Streep schafft ebenfalls die Gratwanderung, eine starke aber doch an den Rande der Verzweiflung getriebenen Frau zu spielen.

Fest steht: Nach dem überraschenden Ende des Films wird die Zuschauerin den Kinosaal verlassen mit einem erhabenen, andächtigen Gefühl, diesem Geschlecht der starken Frauen angehören zu dürfen.
Ein einziger Tag voller Verzweiflung, Hoffnung, Enttäuschung und Glück - ein Film, der aufwühlt und unter die Haut geht.



The Hours
Regie: Stephen Daldry
nach dem Buch von M. Cunningham
und "Mrs. Dalloway" von. Virginia Woolf
USA 2003, 110 min
Mit Meryl Streep, Julianne Moore, Nicole Kidman, Ed Harris, S. Dillane
Verleih Highlight Film
Bundesweiter Start: 27. März 2003


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Beitrag vom 20.04.2003

AVIVA-Redaktion